Der Mau-Mau-Aufstand   

Ein lokaler Häuptling der Kikuyu, mit dem ich gut bekannt bin, fürchtet den Ausbruch von Gewalttaten gegen Europäer. Mordtaten in grossem Ausmass werden geplant. Verantwortlich dafür ist eine geheime Gesellschaft namens Maw Maw, deren Einfluss im Stamme der Kikuyu rasch wächst. Die Mitglieder legen unter äusserster Geheimhaltung Eide ab, die sie zu unbedingtem Gehorsam verpflichten.” In diesem Brief des britischen Oberst R. Meinertzhagen vom 6. April 1950 aus der Stadt Nyeri an den Gouverneur in Nairobi wurde – wenn auch in falscher Schreibweise – zum erstenmal der Ausdruck Mau Mau in Verbindung mit einem europäer- feindlichen Geheimbund genannt.Mau Mau Aufstand
Nach dem Ersten Weltkrieg begannen vor allem die Kikuyu, das grösste und gebildetste Volk in Kenya, von der britischen Kolonialverwaltung ihre Rechte einzufordern. Sie organisierten sich in verschiedenen politischen Gruppierungen, u.a. in der Kikuyu Central Association (KCA), die zu Beginn des Zweiten Weltkrieges verboten wurde. Als Nachfolgeorganisation galt die 1944 gegründete Kenya African Union (KAU), die allerdings über ethnische Schranken hinweg gesamtkenyanische Interessen vertrat. Auch ihre Forderungen nach gleichen Rechten für Schwarze und Weisse, nach Beteiligung afrikanischer Vertreter in Regierung und Verwaltung, nach Ansiedlung von Afrikanern im Hochland etc. wurden von der britischen Kolonialmacht allesamt abgewiesen. Unter den jungen KAU-Mitgliedern, vor allem unter den Kriegsveteranen, die in den Reihen des Kenya African Regiment auf den Schlachtfeldern von Äthiopien bis Burma mitgekämpft, dabei Tapferkeitsmedaillen erhalten und teilweise Unteroffiziersränge bekleidet hatten und sich nun nach ihrer Rückkehr wieder als letztes Glied der gesellschaftlichen Hierarchie empfinden mussten, stiess die gemässigte Politik ihrer Partei zunehmend auf Ablehnung. Innerhalb der legalen KAU entstand eine militante, gut organisierte Untergrundbewegung. Nachdem sie 1950 erste Überfälle auf Schwarze, sogenannte Loyalisten, unternommen hatte, wurde ”die geheime Organisation, die sich Mau Mau nennt”, 1951 als ungesetzlich und verbrecherisch verboten. Seitdem trug die militante Organisation offiziell den Namen Mau Mau.
Woher der Begriff ”Mau Mau” stammt, ist bis heute nicht ganz klar. Bei den Kikuyu existiert das Wort einzig in der Kindersprache und bedeutet soviel wie ”gierig essen”. Einige sahen damals den Ausdruck als kindliche Verballhornung des Begriffs ”Uma, uma!” (”Hinaus, hinaus!”). Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass er sich aus den Anfangsbuchstaben eines KCA-Schlachtrufs zusammensetzt: ”Mzungu Arudi Uingerezza Mwafrica Apate Uhuru” (”Lasst die Europäer nach England zurückkehren, damit Afrika Freiheit bekommt”).
Als am 7. Oktober 1952 der gegenüber der Kolonialverwaltung loyal eingestellte Kikuyu-Führer Waruhiu Kungu ermordet wurde, verkündete die Kolonialregierung den Ausnahmezustand (”Emergency”), der eine Welle von Gewalt auslösen und acht Jahre dauern sollte. Mit dem Mau- Mau-Aufstand erlebte die britische Krone die grösste Unruhe in einer ihrer Kolonien vor deren Unabhängigkeit.
Gleich nach Verkündung des Ausnahmezustands wurden mehrere vermeintliche Führer der Widerstandsbewegung verhaftet, unter ihnen Jomo Kenyatta (Berühmte Persönlichkeiten). Unter dem Vorwurf, die Mau Mau aufgebaut und geleitet zu haben, wurde er zu sieben Jahren Zwangsarbeit und anschliessender dauerhafter Verbannung verurteilt. Kenyatta selbst hatte sich vor und nach seiner Verhaftung mehrmals von den tenoristischen Aktivitäten der Mau Mau distanziert – dennoch wurde er für die Guerilleros zur Symbolfigur, zum Idol in ihren Kampfliedern, gar zum grossen Führer aller Schwarzen Kenyas. Heute weiss man, dass Kenyatta mit dem Aufbau der Mau Mau nichts zu tun hatte; fest steht aber auch, dass er deren Existenz und Kampf als letztes Mittel zum Zweck stillschweigend gebilligt hat.
Am 12. Dezember 1952, also knapp zwei Monate nach Verkündung des Notstands und der Entsendung von Regierungstruppen, schrieb Pater Trevor Huddleston im ”Johannesburg Star”: ”Zwischen Mau Mau und der zivilisierten Welt kann es keinen Kompromiss geben. Diese Bewegung ist durch und durch böse, das Böse schlechthin. Sie muss mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden!” Die Berichte über Angriffe von Mau-Mau-Banden waren ja auch nur so gespickt von Gräueltaten, von grausamen Hinrichtungen, verstümmelten Leichen, von Folterungen, Vergewaltigungen, Raub und Brandstiftung – auch wenn sich viele der berichteten Gräuel später als erfunden herausstellten. Wahr oder unwahr – solche Horrorgeschichten wurden nur allzu gern verbreitet, um den Hass auf die Mau Mau zu schüren, und von den Weissen nur allzu gern und widerspruchslos geglaubt. Doch auch die Briten und die in ihren Reihen
kämpfenden loyalen Afrikaner zeigten wenig Ritterlichkeit im Umgang mit dem Gegner – in punkto Grausamkeit standen sie den Mau Mau in nichts nach.
Für Aufsehen sorgten auch die Schwurzeremonien der Mau Mau. Wer in ihre Reihen aufgenommen werden wollte, musste, wie es den althergebrachten Eidgebräuchen der Kikuyu entsprach, bedingungs- lose Treuegefolgschaft schwören. Es sprach sich bald herum, dass viele Kikuyu unter Todesandrohung zu dem Eid gezwungen worden waren, denn die Mau- Mau-Führer wussten, dass sich nach dem magischen Glauben dieses Volkes selbst der, der einen Eid unfreiwillig leistet, durch ihn gebunden fühlt. Anfänglich waren diese Eideszeremonien noch relativ harmlos, schnell aber pervertierten sie zu grausigen und ekelerregenden Orgien: So mussten bei einigen Zeremonien Sperma und Menstruationsblut, vermischt mit dem Blut eines geschlachteten Schafes, getrunken werden. Auch Fälle von Kannibalismus soll es gegeben haben: Nach dem Geständnis eines gefangenen Mau-Mau-Kämpfers seien das Hirn und gedörrte innere Organe getöteter Feinde gegessen worden.
Bedienten sich die Mau Mau auch solcher bestialischen und abstossenden Schwurzeremonien, so überrascht auf der anderen Seite, welches Gewicht der Disziplin in den Lagern beigemessen wurde, vor allem wenn man bedenkt, dass sich die Mau-Mau-Einheiten grösstenteils aus jungen, meist ungebildeten Leuten rekrutierten. In schriftlich erhaltenen Lagerordnungen wurde vor allem auf die persönliche Hygiene Wert gelegt, und Sexualverkehr zwischen Unverheirateten – Frauen und Mädchen übten Kundschafter-     und Hilfsdienste aus – war strikt verboten; bei Zuwiderhandlungen musste z.T. mit den härtesten Strafen gerechnet werden.
In den Mau-Mau-Einheiten dienten rund 20’000- 30’000 Kämpfer, meist Kikuyu, aber auch Angehörige anderer Völker wie der Masai, Luo, Meru. Die Truppen waren unterteilt in acht Armeen und wurden nach dem Vorbild britischer Dienstränge von Generälen, Obersten bis hinunter zum Korporal geführt. Das grösste Problem bestand in der Beschaffung von Waffen. Die meisten Krieger verfügten nur über Pangas, gebogene, ehemals von den Arabern eingeführte Schwerter. Schusswaffen mussten in der Regel in Überfällen auf Polizeistationen besorgt oder aus Waffendepots gestohlen werden. Gegen die Rebellen führte die Kolonialregierung eine Grossarmee ins Feld: Insgesamt 50’000 Kolonialtruppen aus allen Teilen des britischen Empire, ausgerüstet mit Panzern und Jagdbombern, wurden aufgeboten, unterstützt von 21'000 Polizeiangehörigen (darunter auch Siedler) und 25’000 Mann der aus loyalen Afrikanern gebildeten ”Home Guards”. Trotz ihrer zahlenmässigen Überlegenheit, ihrer besseren Organisation und stärkeren Feuerkraft gelang es den Briten jedoch nicht, schnell Herr der Lage zu werden. Die Mau Mau hatten in den dichten und unwegsamen Bergwäldern der Aberdares und des Mount Kenya Zuflucht gesucht. Von der in der Umgebung lebenden Bevölkerung wurden sie mit Lebensmitteln und gestohlenen Waffen versorgt. Von ihrem sicheren Versteck aus führten sie nächtliche Überraschungsangriffe durch. Die Hauptleidtragenden des Krieges waren denn auch afrikanische Zivilisten, die in den von den Rebellen beherrschten Gebieten wohnten und sich damit dem Verdacht aussetzten, diese zu unterstützen: 90’000 von ihnen liess die Kolonialregierung in Internierungslager pferchen; rund 950'000 - fast das ganze Kikuyuvolk – wurden in andere Landesteile in ”Wehrdörfer” (”Emergency Villages”) zwangsumgesiedelt.
1956 kam die Mau-Mau-Rebellion langsam zum Erliegen. Auslöser hierfür war nicht eine entscheidende militärische Niederlage, sondern die erdrückende gegnerische Übermacht, die ein Zusammenarbeiten der einzelnen Kampfgruppen immer unmöglicher machte, der Sympathieverlust auch bei der schwarzen Bevölkerung, bedingt durch die vor allem an ”Kollaborateuren” begangenen Gräueltaten, und die zunehmenden Eifersüchteleien unter den Guerillaführen. Nach der Gefangennahme und Hinrichtung von Dedan Kimathi, dem ebenso intelligenten wie fanatischen Kopf der Mau Mau und früheren Schullehrer, der durch Verrat den Briten ausgeliefert worden war, legten schlieBlich die meisten Mau-Mau-Krieger die Waffen nieder.
Insgesamt starben während des Krieges 11’500 wirkliche oder vermeintliche Mau- Mau-Guerillas, um die 2’000 Zivilisten, nämlich von den Rebellen meist als ”Handlanger der Briten” ermordete Kikuyu, 200 Soldaten der afrikanischen Kolonialtruppen und 95 Europäer, darunter – trotz all der Gräuelberichte - nur (!) 32 Siedler.